Auch Betriebsprüfer können irren: „So was hab ich noch nie gesehen! Man hat ja gar nicht das Gefühl in einer Gärtnerei zu sein. Das geht nicht gut!“ Schon damals ließ sich Christian Kreß nicht verunsichern: „Gerade das ist es doch, was den Leuten gefällt! Es muss nicht immer nach der Norm gehen.“
Recht hat er! Seine etwas unkonventionelle Staudengärtnerei Sarastro im österreichischen Ort im Innkreis hat sich mittlerweile als (Fern)Reiseziel in einschlägigen Kreisen etabliert. Besucher aus den USA und Russland waren schon zu Gast, die Deutschen kommen gleich als Busladung. Und wer eine der begehrten Rundführungen mitmachen will, muss Wochen im Voraus reservieren.
Auch wir sind beeindruckt von der hektargroßen Verkaufsfläche, auf der Produktions-, Schau- und Vermehrungsgarten so nahtlos ineinanderfließen. Die selbst gesetzten, anmutig geschwungenen Ziegelmäuerchen verbinden hier eher, als dass sie trennen. Immer wieder eröffnen Torbögen und windschiefe Türen neue Einblicke: Hier ein Wüsten-Beet mit frostharten Kakteen. Dort ein gewundenes Schlangenbeet, 30 Meter lang, aber nur einen Meter breit und damit prima vom Rand aus zu pflegen. Und da, ein ausrangiertes Bettgestell, auf dessen kuschelweicher Pflanzendecke ich mich von den vielen Eindrücken am liebsten kurz erholen möchte. Kurzum: Wer noch Anregungen für die Gestaltung seines Gartens sucht, wird hier fündig! Im vorderen Bereich des Grundstücks darf man sich sogar nach Herzenslust aus den Schaubeeten bedienen. Echte Pflanzenschätze warten hier nur darauf, gehoben zu werden.
Denn seine internationale Bekanntheit hat sich Christian Kreß vor allem durch sein breit aufgestelltes Staudensortiment erworben. So findet sich etwa neben dem weltweit größten Angebot an Anemone nemorosa-Züchtungen ein vollständiges Sortiment an Wiesenknöpfen (Sanguisorba). Einer Staude, die gerade erst im Kommen ist. Dazu ein breites Alpinen-Angebot, seltene Wildarten aus aller Welt, eine Vielzahl an Schattenstauden und und und. Ein guter Draht zu botanischen Gärten und internationalen Samentauschbörsen macht, neben ungezählten Exkursionen ins Ausland, ein solches Angebot möglich. Daneben hat das Schicksal oft seine Finger im Spiel. „90 % aller Sortenneuheiten entstehen aus Zufallssämlingen! Bei mir genauso wie bei anderen Staudenzüchtern.“ Selbst seine Sarastro Staude, die Glockenblume ‘Sarastro’, entstand als zufällige Kreuzung. Dank ihrer enormen, bis zu acht Zentimeter langen Blüten und hervorragenden Wuchseigenschaften wurde sie 2009 zur besten Glockenblumen Neuheit der Welt gekürt. Ein Patent darauf hätte wohl gutes Geld eingebracht. Doch Christian Kreß ist seinem Prinzip, dass „Leben nicht patentiert werden sollte“ treu geblieben. Bisher zumindest.
Wer nun an der Fülle des Pflanzenangebots zu verzagen droht, findet vielerlei Hilfe. Zum Beispiel liefern große beschriftete Glasfenster in den Themenbeeten wertvolle Tipps. Bei den Rosenbegleitern etwa sind solche gelistet, die aufgrund ihrer Standortansprüche viel besser zur Königin der Blumen passen als der so oft gepriesene Lavendel. Im Kiesgarten finden sich in schwungvolle Lettern gesetzte Ratschläge zur Bodenart (mit Sand abmagern…), im Schattengarten Hinweise zur Unkrautbekämpfung (wegen der Flachwurzler nicht hacken, sondern nur zupfen). Daneben bietet ein gemütliches Lesestübchen im Holzfass allerlei Fachliteratur. Und schließlich steht der Chef höchstselbst als Experte parat. Ob Raritätensammler oder „Gartel“-Anfänger – auf jeden Kunden stellt sich Christian Kreß neu ein. Auch wenn der studierte Zierpflanzengärtner keine Zeit findet, ganze Gärten zu planen: Wer Beetskizze und Quadratmeterzahl mit in die Gärtnerei bringt, geht mit einem professionellen Bepflanzungstipp wieder nach Hause.
Dabei weiß der passionierte Weltenbummler ganz genau, was er seinen Stauden zumuten kann. An Naturstandorten im Himalaya, in Russland oder Nordafrika hat er studiert, wie breit die Standortamplituden der einzelnen Arten sind. „Eine Wildstaude der Sonne sieht man mitunter auch mal im Schatten wachsen. Ich habe da einiges ausprobiert und hatte tolle Erfolge damit!“ Bei so viel Betriebsamkeit bleibt für den Privatgarten daheim kaum Zeit, sollte man meinen. Und doch: Eine Schneeglöckchensammlung mit über 300 Sorten tummelt sich unter anderem im privaten Grün. Auch hier kennt der unkomplizierte Staudengärtner keine Berührungsängste: Echte Schneeglöckchenfans sind ihm selbst zu Hause immer willkommen!
Kerstin Ackermann
Anfang der 90er-Jahre war es, als zwei wirklich wilde Glockenblumen aufeinandertrafen. Zum einen die Japanerin Campanula punctata var. hondoense, die mit ihren Rhizomen ganze Flächen bewucherte. Dazu die einheimische Nesselblättrige Glockenblume (C. trachelium), die hemmungslos mit Samen um sich warf. Die Wilden kreuzten sich – und heraus kam eine der herrlichsten Glockenblumen überhaupt! Die Sarastro Staude ‘Sarastro’ trägt riesengroße, violettblaue Glocken, und das für sehr lange Zeit.
Und: Sie ist handzahm und wuchert überhaupt nicht! Fast wie der Hohepriester Sarastro in Mozarts Zauberflöte: anfangs ein böser Herrscher, entwickelt er sich doch zum guten Geist. So kam die Glocke zu ihrem Namen – und mit ihr die gesamte Staudengärtnerei Sarastro.