Eben komme ich aus dem Garten. Ich weiß, so begannen schon andere Autoren ihre Garten- Kolumne. Hier ist es aber keine Floskel: Es war Anfang April, und ich wollte einen Beitrag über Wiesenstauden schreiben.
Dr. Konrad Näser
Meine Lieblingsbeschäftigung um diese Zeit ist aber: im Garten sein und seltene Stauden teilen und vermehren. Was aber hatte ich so Wichtiges im Garten zu tun, um dem Schreibtisch zu entfliehen?
Da habe ich eine typische Wiesenstaude, das Greiskraut Ligularia stenocephala ‘Weihenstephan’, vom Rand des Wasserbeckens ausgegraben und geteilt.
Das ging zuerst mit dem Spaten und dann mit meinem scharfen Gärtnermesser sehr gut, Ergebnis: Sechs Teilstücke, jedes mit einem Austrieb und reichlich Wurzeln. Darüber habe ich mich so gefreut, dass ich mit neuem Elan an den Schreibtisch zurückkehren konnte.
Gerade von der ‘Weihenstephan’ kann ich nie genug haben. Sie hat ihre eigene Geschichte: 1972, also vor über 40 Jahren, entdeckte der damalige Leiter des Sichtungsgartens in Weihenstephan, Hermann Müssel, im unteren, feuchten Gelände des Gartens, dort, wo die Ligularien-Sammlung stand, einen Sämling, der die anderen an Schönheit der Blüten und des Wuchses übertraf.
Er nahm den Findling zum weiteren Beobachten heraus. Aber niemand interessierte sich dafür, zumal damals im Sichtungsgarten so nebenbei eben keine neuen Sorten zu entstehen hatten.
Doch Hermann Müssel blieb überzeugt vom Wert seiner Entdeckung, nannte sie nach seiner Arbeitsstelle ‘Weihenstephan’ und stellte sie neben die anderen Sorten in den Vergleich.
Und tatsächlich – nach einigen Jahren waren alle Mitarbeiter begeistert und nach und nach gelang es, auch Staudengärtnereien für den Neuzugang zu interessieren. Mir schenkte Hermann Müssel 1990 mein erstes Exemplar der ‘Weihenstephan’.
Seit jener Zeit beherrscht die Staude bei uns zur Blütezeit die Szene am Beckenrand und oft fragen Besucher nach einem Teilstück. Deshalb bin ich gerne für eine halbe Stunde vom Schreibtisch geflohen.
Eine andere schöne Wiesenstaude, vom Standortanspruch mit dem Greiskraut vergleichbar, ist das Mädesüß. Ich habe es schon als Schüler bei Exkursionen durch die Hermannsdorfer Wiesen, unweit meiner Heimatstadt Annaberg im Erzgebirge, kennen gelernt.
Botanisch heißt das Mädesüß Filipendula ulmaria und gehört zur Familie der Rosengewächse. Der melodisch klingende lateinische Name prägt sich mühelos ein.
Der deutsche verweist auf ihre frühere Verwendung zum Süßen und Aromatisieren von Met. Auch das Heu, das die Bauern von den Filipendula-Wiesen gewinnen, duftet süß und aromatisch nach Mandeln.
Die Pflanze wächst in Feuchtwiesen sowie an Bachrändern, und ich freue mich heute noch jedes Mal, wenn ich sie in der freien Natur entdecke. Aber im Garten? Fehlanzeige.
Es gibt einen einfachen Grund: Sie hat als Wiesenstaude typische Ansprüche: Einen nährstoffreichen, kühlen und feuchten, aber nicht nassen Boden, möglichst mit Lehm und Humus durchsetzt, volles Sonnenlicht und eine hohe Luftfeuchtigkeit (oder entsprechende Niederschläge).
Daher ist es schwierig, ihr einen dauerhaften Platz im Garten anzubieten. Mein Vorschlag: Das könnte der Rand eines Wasserbeckens sein oder eine kleine Senke.
Versuchen Sie’s doch mal, dann bleibt Ihnen das duftende Mädesüß keine Unbekannte. Zufällig entdeckte ich, dass es davon auch eine gefüllt blühende Sorte ‘Plena’ gibt. Sehr empfehlenswert! Dazu passt das rosarote Palmblatt-Mädesüß, Filipendula palmata.
Unter ihren Sämlingen habe ich eine früh blühende rosafarbene Pflanze gefunden, die ich vermehrt habe und wegen der frühen Blütezeit ‘Junia’ taufte. Ich habe sie noch heute im Garten.
Kürzlich wurde ich gefragt, was meine Lieblingsstaude sei. Ich war so überrascht (ich liebe ja viele Stauden!), dass ich spontan sagte: „Wiesenrauten“. Erst danach stellte ich fest, dass ich diese eleganten Gestalten wirklich liebe und sie an vielen Stellen im Garten habe.
Der Name sagt es schon: Auch sie fühlen sich im Wiesenmilieu am wohlsten.
Und haben Sie gewusst, dass Taglilien am Naturstandort in China, Japan und Korea ursprünglich auch Wiesenstauden waren? Ich wusste es lange nicht, zumal ich von den modernen Züchtungen geblendet war, die überall gut wachsen.
Bis ich feststellte: Ihre „wiesennahe“ Unschuld, sprich: grazile Natürlichkeit, haben sie längst an die skurrilen und poppigen Riesenblüten der modernen Sorten verloren.
Wer da zurück zu den Wurzeln will, der muss ein Teilstück von Hemerocallis minor, Hemerocallis citrina oder von der frühblühenden, von mir sehr geschätzten Hemerocallis ‘Maikönigin’ pflanzen. Dann wird er verstehen, was ich meine. Denn sie könnten noch direkt aus einer asiatischen Bergwiese stammen.
Eine ähnliche Entwicklung gab es bei den Wiesen-Iris, Iris sibirica, aber mit einem „Happy End“. Sie sind als moderne Gartenpflanzen zwar noch immer an einen leicht feuchten Standort gebunden.
Das merkt man, wenn sie in trockenen Jahren rettungslos verlausen. Jedoch fanden die Züchter heraus, dass sich viele Arten dieser sogenannten Bartlosen Iris untereinander kreuzen lassen.
So entstanden die neuen Iris-Sibirica-Hybriden, eine bunte Truppe, alle mit den „schwebenden“ Sibirica-Blüten, dazu in vielen neuen Farben und mit langer Blütezeit bis in den Juli hinein.
Ihre Ansprüche an die Bodenfeuchtigkeit sind nicht mehr so hoch wie bei der Ursprungsart. Die wilde Wiesen-Iris hat sich auf diesem Weg zu einer ausdauernden, wertvollen Gartenpflanze gemausert. Es lohnt sich, in den Stauden-Gärtnereien nach guten Sorten Ausschau zu halten.
Schöne Sorten der Wiesen-Iris (Iris sibirica):
‘Berlin Purple Wine’ (weinrot, Foto), ‘Butter and Sugar’(weiß-gelb), ‘Caesar’s Brother’ (purpurviolett), ‘Fahrt ins Blaue’ (blau), ‘Hellblauer Riese’ (hellblau), ‘Silberkante’ (dunkelblau), ‘Viel Schnee’ (weiß), ‘Weißer Orient’ (weiß)
Taglilien mit Wiesenstaudencharakter:
Hemerocallis citrina, Hemerocallis minor, Hemerocallis middendorffii, Hemerocallis thunbergii, und die Sorten ‘Corky’, ‘Maikönigin’, ‘Stella de Oro’
Kaum jemand kennt sie, nur wenige haben sie, es ist ein Geheimtipp für „Pflanzenjäger“, den ich fast gar nicht verraten möchte: Seit über 30 Jahren habe ich die Panther-Lilie, Lilium pardalinum, im Garten. Keine andere Lilie war so ausdauernd bei mir. Sie gehört ebenfalls zu den Wiesenstauden.
Beheimatet ist sie in den Feuchtgebieten Oregons (USA). Ich pflanzte sie in die Nähe eines Wasserbeckens, wo die nötige milde Feuchte garantiert ist. Jährlich bringt sie in 1,80 Meter Höhe ihre großen, orangeroten, karminrot gefleckten Türkenbundblüten hervor, unterirdisch kriecht sie mit „Schuppenzwiebeln“ voran.
Untrennbar ist der Name von Dr. Konrad Näser mit der bekannten Gärtnerei „Karl Foerster“ in Potsdam-Bornim verbunden. Als Züchtungsleiter trat er nach Foersters Tod im Jahre 1970 in dessen Fußstapfen.