Wird unser Gemüse künftig nicht mehr auf Feldern, sondern in Wolkenkratzern kultiviert? Das Prinzip des Vertical Farmings verspricht jedenfalls eine progressive Landwirtschaft, die platzsparend und ressourcenschonender sein kann. Dass Obst, Gemüse und Kräuter im großen Stil in urbanen Ballungszentren wachsen und so der traditionelle Anbau obsolet wird, bleibt indes noch Zukunftsmusik.
Es gibt unterschiedliche Ansätze, Vertical Farming zu betreiben. Das Grundkonzept besteht aber immer darin, Lebensmittelpflanzen nicht ausschließlich horizontal, sondern über mehrere Etagen oder Stockwerke verteilt anzubauen. Visionen zeichnen das Bild von „Farmscrapern“, ganzen Wolkenkratzern, die Metropolen der Zukunft mit frischen Lebensmitteln versorgen könnten. Oft geht der vertikale Anbau mit anderen innovativen Technologien einher. Dazu zählen beispielsweise autonome Bewässerungssysteme, die die Pflanzen mittels Sensoren bedarfsgerecht versorgen oder auch Roboterarme, die bei der Ernte mitwirken. In vielen Fällen kommen Hydro- oder Aerokulturen zum Einsatz.
Hydro- und Aerokultur
Pflanzen, die in Hydrokultur angebaut werden, wachsen nicht mehr in Substrat, sondern wurzeln in mit einer Nährlösung gefüllten Behältern. Die Gewächse können so in einer Kreislaufführung optimal versorgt werden, Düngemittel und Wasser werden eingespart.
Auch die Aerokultur ermöglicht einen sparsamen Umgang mit Ressourcen. Wasser und Nährstoffe erreichen das Wurzelwerk bei dieser Methode nur noch über einen mittels feiner Düsen erzeugten Sprühnebel.
Die Landwirtschaft steht vor immer größeren Herausforderungen. Laut den World Population Prospects der UN wird die Weltbevölkerung bis 2050 von aktuell knapp acht auf etwa zehn Milliarden Menschen anwachsen. Schwierigkeiten liegen aber nicht alleine an der wachsenden Gesamtbevölkerung, sondern auch an der Expansion urbaner Räume. Hier prognostiziert die UN für das Jahr 2050, dass weltweit etwa 66 Prozent aller Menschen in Städten leben werden.
Gleichzeitig wird der Ruf nach einer klima- und umweltschonenderen Landwirtschaft lauter, da viele Praktiken der konventionellen Landwirtschaft fatale Folgen für Klima und Umwelt nach sich ziehen. Um die weltweite Ernährung weiterhin zu gewährleisten, müssten unfassbar große Flächen landwirtschaftlich neu erschlossen werden – zulasten von Urwäldern, Mooren und Wildwiesen. Kann Vertical Farming hier die Lösung sein?
Der große Vorteil von Vertical Farming liegt auf der Hand: Nutzt man die Höhe aus, reduziert sich der Flächenbedarf. Sollte sich die vertikale Landwirtschaft durchsetzen, wäre es sogar möglich, bisher genutzte Felder zu renaturieren und so auch die natürlichen Lebensräume diverser Tier- und Pflanzenarten wiederherzustellen. Durch den Verzicht auf landwirtschaftliche Maschinen ergäbe sich zudem eine Reduktion des Verbrauchs fossiler Brennstoffe. Und weil die schlanken „Farmscraper“ problemlos in Städten oder Stadtnähe Platz finden könnten, würden kurze Transportwege möglich.
Da Vertikale Farmen oftmals mit effizienten Versorgungssystemen ausgestattet sind, senkt sich auch der Wasserverbrauch – im Gegensatz zu konventioneller Landwirtschaft lässt sich dieser teilweise erheblich reduzieren. Viele Konzepte des Vertical Farmings sehen geschlossene Kreisläufe vor, in denen Wasser gereinigt und erneut eingespeist wird. So werden auch weniger Düngemittel benötigt und Nährstoffüberschüsse nicht mehr ins Grundwasser ausgewaschen, sondern recycelt.
Ein weiterer großer Pluspunkt: In geschlossenen Systemen herrschen hohe hygienische Standards. Das bedeutet auch, dass Schädlinge und Krankheiten nicht eindringen können. Pestizide werden überflüssig.
Es gibt vertikale Farmen, die nicht nur ohne herkömmliches Substrat auskommen, sondern sogar auf Sonnenlicht verzichten – „Indoor Farming“ nennt man das. Solche Einrichtungen steuern mittels moderner Sensorik alle Parameter, die das Pflanzenwachstum bestimmen, von der Lüftung über die Bewässerung bis hin zur Temperatur. Die Erträge werden somit wetter- und klimaunabhängig und die Pflanzen können prinzipiell ganzjährig und 24 Stunden pro Tag wachsen, womit sie auch schneller erntereif sind. Durch Wetterextreme wie Dürre oder Überschwemmungen verursachte Ernteausfälle könnten somit umgangen werden. Auch für unwirtlichen Standorte wie Wüstengebiete eröffnen Indoor-Farmen daher große Chancen.
Beim Ersetzen von Sonnenlicht durch künstliche LED-Lampen trifft man allerdings auch auf den entscheidenden Schwachpunkt des Vertical bzw. Indoor Farmings. Bei einer Beleuchtung rund um die Uhr schießt der Energiebedarf durch die Decke. Zusätzlich besteht oftmals Kühlungsbedarf, wenn durch die Lampen die Temperaturen ansteigen.
Auch der Energiebedarf der jeweiligen Pflanze spielt eine Rolle. Tomaten, Salat oder Kräuter bestehen zu großen Teilen aus Wasser und benötigen vergleichsweise wenig Energie, sodass sie sich schon jetzt gut für die Vertical-Farming-Kultur eignen. Entscheidend für die künftige Ernährungssicherheit sind aber eher kalorienreichere Pflanzen wie Mais, Reis und Weizen. Aufgrund der hohen Biomasse, die beim Anbau anfällt, gestaltet sich Vertical Farming hier schwieriger – oder zumindest noch energieaufwendiger.
Damit vertikale Farmen wirklich noch ressourcenschonend sein können, müssten sie natürlich mit erneuerbaren Energien betrieben werden. Allerdings könnte das wiederum ihren Flächenvorteil zunichte machen, da auch Windräder oder Photovoltaikanlagen Flächen beanspruchen.
Noch sind sie die Ausnahme, aber es gibt sie schon, die vertikalen Farmen. Einige der größten befinden sich zum Beispiel in Dubai, den USA, Japan oder Großbritannien. Dort zeigt sich, wie effizient und ertragreich diese Systeme sein können. Ob der Umstieg auf die vertikale Landwirtschaft sinnvoll ist, hängt aber immer auch von Anbaumethoden und der jeweiligen Region ab.
Unbestritten ist, dass es neue und zukunftsfähige Lösungen braucht, um den bevorstehenden Herausforderungen in Zeiten von Klimakrise und dem drohenden Kollaps des Ökosystems gerecht zu werden. Und viele Ansätze des Vertical Farmings könnten hier einen großen Beitrag leisten. Damit die Vorteile tatsächlich zum Tragen kommen, braucht es aber weitere Verbesserungen hinsichtlich der Energieeffizienz.
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