Vor 13 Jahren legte Wolfram Herrmann den Grundstein für eine beachtliche Tafelrebensammlung. Von einem Urlaub an der Mosel brachte er die ersten vier Pflanzen mit nach Hause an die Spree.
Es waren Vorfreude und Neugier dabei, als Wolfram Herrmann die jungen Rebstöcke in seinen Garten am Berliner Stadtrand pflanzte. Nach zwei, drei Standjahren bei guter Pflege sollten sie die ersten Kostproben liefern. Doch dazu sollte es nicht kommen. Die ersten drei Pflanzen verabschiedeten sich gleich im ersten Winter: „Erfroren!“
Ein Exemplar der blauen Sorte ‘Big Blue’ jedoch überlebte im Gewächshaus und trug. Allerdings erst nach Jahren, dafür aber ganz passable Beeren. Dennoch, es mussten robustere Sorten her. Nun gedeihen in Berlin-Buch seit Jahrzehnten die weiße Keltersorte ‘Früher Leipziger’ und eine eindrucksvolle Spätburgunderrebe, die ein Schwimmbecken und die Terrasse des Hauses beschattet. Beide tragen so reich, dass Wolfram Herrmann aus den Beeren Wein keltern kann. Von solchen Sorten musste es in Berlin doch noch mehr geben!
So schaute sich Herrmann alte Rebstöcke in der näheren Umgebung an. Die dürften dann ja wohl ausreichend frosthart sein. „Ich habe jeden Nachbarn, Bekannten und natürlich auch Fremde um Steckhölzer gebeten, sofern ich in deren Garten einen Rebstock sah.“ Auch Kleingartenanlagen hat der heute 78-jährige durchkämmt. „Und ich besuche Rebschnittkurse, die in der Umgebung gegeben werden.“
Viele Gartenbesitzer sind gern bereit, von den beschnittenen Spalieren ein paar Steckhölzer abzugeben: „Die bewurzeln sich leicht und entwickeln sich gut.“ Von manchen dieser Sorten wird der Hobbywinzer den wirklichen Namen wohl nie erfahren. Sie bekommen dann eben Bezeichnungen wie „Karow 1“ nach dem Berliner Stadtteil, aus dem sie stammen. Viele von Herrmanns Neuzugängen haben noch nicht getragen und stehen in Kübeln. Erst, wenn sie ihre Probezeit bestanden haben, dürfen die Pflanzen im gewachsenen Berliner Boden Wurzeln schlagen und bleiben. Sie sollten nicht krankheitsanfällig sein und müssen regelmäßig tragen. Entscheidendes Auswahlkriterium aber ist das Aroma.
„Trägt ein Rebstock zu wenig, die Beeren reifen nicht aus oder schmecken nicht, veredele ich ihn mit einer besseren Sorte.“ So ist die Sammlung mittlerweile auf mehr als 70 Pflanzen in 40 Sorten angewachsen. Keine, außer der mehltauanfälligen ‘Frühen Leipziger’, muss gegen Krankheiten behandelt werden!
Altbekannte Züchtungen wie ‘Frankenthaler’, ‘Roter Muskateller’ und ‘Spätburgunder’ sowie die modernen Tafelrebensorten ‘Muscat Bleu’ und ‘Solara’ mit sehr großen violett schimmernden Beeren und ‘Solaris’ haben die Aufnahmeprüfung längst bestanden. „‘Solaris’ ist einer meiner Lieblinge, auch weil sie schon im August reift. Selbst in kühlen Sommern bringt sie zuverlässig süße Früchte mit einem tollen Aroma hervor. Zudem trägt sie ausgesprochen reich.“
Auch ‘Nero’ kann der Rebengärtner empfehlen. „Diese blaue Keltertraube schmeckt auch frisch vom Spalier.“ Die weiße Tafelsorte ‘Birstaler Muscat’ steuert feines Muskat-Aroma bei, und „Karow 1“ besticht durch lange lockere Trauben mit hellen rostroten Beeren. Der ‘Spätburgunder’ beendet die Saison im November. Die tief blauen Trauben halten sich, kühl gelagert, bis Dezember.
Die gelbfrüchtige, in Ungarn gezüchtete ‘Palatina’ besticht mit großen, ovalen Früchten und angenehm süßem und feinfruchtigem Aroma.
‘Muscat Bleu‘ trägt Jahr für Jahr große Trauben voller blaubereifter Früchte mit intensivem, ausgewogenen Aroma. Sie ist, wie fast alle genannten Sorten, mehltaufest. Die Beeren verrieseln jedoch in manchen Jahren. Dann sind die Trauben lockerer besetzt, dafür werden die Beeren etwas größer.
‘Spätburgunder’ und ‘Solaris’ könnten kaum unterschiedlicher sein. Erstere ist als alte, blaue, kleinbeerige Keltertraube bekannt. Die noch junge Züchtung ‘Solaris’ dagegen ist eine ausgesprochen frühe Sorte mit größeren Beeren. Beiden gemeinsam sind die aromatisch-süßen Beeren und der hohe Ertrag.
Tipp
Wenn Sie nun auch Lust drauf haben, eine Tafeltraube zu kultivieren oder gar mit dem Sammeln und Tauschen zu beginnen, bitten Sie doch Ihren Nachbarn einfach um einige Steckhölzer. Wer im Weinanbaugebiet wohnt, kauft dagegen besser veredelte Pflanzen. Nur diese gegen die Wurzelreblaus resistenten Reben dürfen dort angebaut werden.
Achim Werner