Der Nachbar hat seine Frau ans Fenster geholt: „Guck doch mal, wie die rennen!“ Von oben können beide auf unsere lange Einfahrt schauen. Bei Näsers ist mal wieder Gartentag. Etwa dreißig Besucher stehen schon am Tor.
Als es geöffnet wird, sprinten die „Pflanzenjäger“ auf den beiden Fahrstreifen nach vorn. Gerade noch in dem Tempo, bei dem die Regeln des Anstands gewahrt bleiben. Dabei versucht die linke Gruppe durch zügigeres Tempo die rechts Laufenden zu überholen. Jeder will der Erste sein. Die Nachbarn oben am Fenster kichern, und ich, mittendrin, kann nur zur Mäßigung mahnen.
Dr. Konrad Näser
Was ist los? Auf dem Tisch am Eingang stehen ein paar Waldlilien zum Verkauf. Der bunt blühende Garten dahinter ist erst einmal Nebensache. Es geht also um die „Gartenschätze“. Schon ihre Namen wecken Verlangen: Feenglöckchen, Mondviole, Wachsglocke, Krötenlilie.
Doch die Stückzahlen sind klein. Solche Stauden gehören nicht zum Standardangebot der Gärtnereien. Entweder ist die Vermehrungsrate zu gering, das Vermehrungsverfahren zu aufwändig – man muss wirtschaftlich denken.
So ist es an den Freizeitgärtnern, dafür zu sorgen, dass diese Schätze nicht verlorengehen. Und da bin ich natürlich dabei, weil mir manche fast vergessene Staude am Herzen liegt.
Davon gibt es so einige: Durch Zufall kam das Feenglöckchen, Disporum flavens, mit dem Maiglöckchen entfernt verwandt, in meine Hände.
Ich besaß bis zu dem Tag nur die ähnliche Art Disporum sessile. Die fühlte sich aber nie richtig wohl bei mir.
Ein Besucher schenkte mir das richtige Feenglöckchen. Welche Überraschung: Auf 60 Zentimeter hohen Stängeln entwickelten sich im Mai hellgelbe, nach unten hängende Glockenblüten. Ich war fasziniert.
Im Internet fand ich einige Angaben: kurze Rhizome, winterhart, liebt lehmig-humosen Boden und Halbschatten. Nun wächst das Geschenk schon viele Jahre bei mir und bereitet (fast) nur Freude. Einziger Wermutstropfen ist der Schneckenfraß am Frühjahrsaustrieb. Aber das ist ja ein allgemeines Problem.
Auf einem Staudenmarkt entdeckte ich einst die Wachsglocke, Kirengeshoma palmata. Schnell war klar: Die muss zu mir! Ich pflanzte sie in mein „Wunderbeet“, um mich im Folgejahr überraschen zu lassen. Und das wurde eine Überraschung! Im August öffneten sich die ersten gelben, wachsartigen Glocken an leicht überhängenden Trieben.
Mit ihrem vollendet charmanten Habitus offenbarte die Pflanze sogleich ihre japanische Heimat. Bis weit in den September hielt der Flor an. Aber ich musste erst lernen: Direktes Sonnenlicht bekommt den Blüten nicht, ein halbschattiger Standort ist eindeutig besser. Der sollte zudem humos, nährstoffreich und nicht zu trocken sein.
Ebenfalls von einem Staudenmarkt stammt auch meine Sommer-Krötenlilie, Tricyrtis latifolia. Es war Frühling, sie hatte gerade erst ausgetrieben, ähnlich einer Knabenkraut-Orchidee, mit intensiv braun gefleckten Blättern. So etwas reizt mich unwiderstehlich zum Kauf.
Tatsächlich entwickelte sich aus dem vielversprechenden Etwas ein orchideenähnliches Gewächs, siebzig Zentimeter hoch mit breiten, später grünen Blättern. Im Juni erschienen die gelben, braun gefleckten Blüten. Sie ähneln kleinen Orchideen. Einziges Problem: Der frühe Austrieb ist etwas spätfrostgefährdet.
Erst im Herbst blüht die Formosa-Krötenlilie, Tricyrtis formosana, in rosa-lila Farbtönen. Ein richtiges Kleinod ist auch die Zahnwurz, Cardamine (syn. Dentaria). Sie stammt aus Gebirgswäldern und passt ebenfalls gut in den lichten Halbschatten unter Gehölzen. Bei mir hat sich Cardamine kitaibelii mit hellgelben Blüten, 30 cm hoch und kalkliebend, als vitalste erwiesen.
Aus den Anfangsgründen meiner Schatzjäger-Laufbahn fällt mir eine Staude ein, die duftende Mondviole, Lunaria rediviva. Mit ihren silbrigen Samenständen fiel sie mir in einem botanischen Garten auf, und dort erfuhr ich, dass es sich um eine langlebige Staude handelt, und nicht etwa um den einjährigen Silbertaler (Lunaria annua).
Wie konnte sie so lange meiner Aufmerksamkeit entgehen? Die silbrigen Scheidewände der ovalen Samenschoten leuchten bis in den Winter hinein durch den Garten.
Eine jüngere Bekanntschaft ist dagegen der Pyramiden-Günsel, Ajuga pyramidalis. Er treibt keine Ausläufer wie der bekanntere Purpur-Günsel, er bildet stattdessen auf kalkfreiem Standort dichte Matten mit samtigen, ornamentalen Blütenständen. Passionierte Pflanzenjäger finden auf Staudenmärkten immer wieder echte Schätze – nun dann: Waidmannsheil!
Dr. Konrad Näser ist untrennbar mit der bekannten Gärtnerei “Karl Foerster” in Potsdam-Bornim verbunden. Als Züchtungsleiter trat Dr. Konrad Näser nach Foersters Tod im Jahre 1970 in dessen Fußstapfen. Mehr über den Karl-Foerster-Garten erfahren Sie im PotsdamWiki.