In der wahrscheinlich nördlichsten Lavendelgärtnerei der Welt kultivieren Roger und Linda Bastin über hundert Sorten des Duftspenders.
Ob er wirklich die nördlichste Lavendelgärtnerei der Welt hat – da ist sich Roger Bastin doch nicht ganz sicher. „In England gibt es noch eine, die ist ungefähr auf unserer Höhe.“ Er schmunzelt: „Aber auf jeden Fall sind wir die südlichste Gärtnerei der Niederlande. Keine hier liegt dichter am Mittelmeer. Das verpflichtet doch!“ Und so glaubt man sich in der „kwekerij Bastin“, unweit der deutschen Grenze in Aalbeek gelegen, auch tatsächlich fast am warmen Strand.
Der Duft mediterraner Kräuter hängt in der Luft, sandfarbene Kalksteinmauern ziehen sich wellenartig durchs Gelände, dazu die endlose Weite des blauen Blütenmeeres … das Summen der zahllosen Bienen und Hummeln könnte man beinahe für Wellenrauschen halten.
Tatsächlich ist es Linda und Roger Bastin sehr wichtig, dieses „vakantie gevoel“, das Urlaubsgefühl, zu vermitteln. Lauschige Bänke laden zum Verweilen, Hund und Katze tollen über die Wege, im Hintergrund blöken die hauseigenen Schafe … herrlich! „Früher habe ich immer gedacht: Es ist echt eine Unverschämtheit, wenn eine Pflanze einfach nur schön ist!“
Etwas unvermittelt holt mich Roger (wie es in Holland üblich ist, reden wir uns gleich mit Vornamen an), vom Mittelmeer zurück. Doch das mit der Schönheit, das ist ihm wichtig: Vor 25 Jahren hatten er und seine Frau, beide gelernte Gemüsegärtner, mit einer Gemüsegärtnerei angefangen. Seine Pflanzen mussten schmackhaft und vitaminreich sein, gut duften oder zumindest eine spannende Geschichte vorzuweisen haben.
„Erst später habe ich gemerkt, dass Schönheit ja auch eine Form der Nahrung ist. Deshalb auch diese schöne Atmosphäre hier, dieses schöne Urlaubsgefühl …“ Fast selbstverständlich, dass die Idylle weder durch Kunstdünger noch Giftspritze gestört werden darf. Gegärtnert wird ausschließlich bio, ohne Chemie, ohne Torf, als Dünger dienen Kompost, Hornspäne und Pflanzenbrühen. Dabei versuchen die beiden Veganer, auch den Einsatz der Hornspäne möglichst klein zu halten. „Wenn die Stecklinge getopft werden, bekommen sie einmal Hornspäne. Danach gibt’s nur noch pflanzliche Dünger: ein- bis dreimal pro Jahr einen Schuss OPF.“
Melassehaltiges OPF (Organic Plant Feed) ist ein veganer Flüssigdünger und ein Abfallprodukt aus der Zuckerproduktion. Er ist aber nur den getopften Verkaufspflanzen vergönnt, da Nährstoffe im Topf leichter ausgespült werden. Die ausgepflanzten Exemplare müssen selbst darauf verzichten, gedeihen in den Schaubeeten aber prächtig zwischen Mannstreu, Mittelmeer-Wolfsmilch, Argentinischem Eisenkraut und all den anderen Hungerkünstlern, die sich auf kargem, vollsonnigem Grund ebenso herrlich entwickeln.
Und die Schädlingskontrolle? Wir spazieren zum Nützlings-Futterstreifen hinterm Hühnerhaus, in dem Geißraute (Galega), Riesen-Schuppenkopf (Cephalaria gigantea) und Johanniskraut (Hypericum) um die Wette blühen. „Marienkäfer, Florfliegen, Schwebfliegen und Schlupfwespen werden hier in Scharen angelockt. Sie halten die Schädlinge locker in Schach.“
Alles scheint hier im Gleichgewicht zu sein, alles wirkt so entspannt. Selbst dem kalten Winter sieht Roger gelassen entgegen: „Wir kultivieren hauptsächlich Sorten des Echten Lavendel, Lavandula angustifolia. Er ist für Holland und Deutschland am besten geeignet und verträgt selbst Temperaturen bis –30 Grad, wenn nur der Boden wirklich gut durchlässig ist.“
Ein Blick über die Verkaufsflächen zeigt die ganze Farbpalette des Echten Lavendel: tiefdunkle Sorten neben mauvefarbenen, verschiedene Rosétöne neben weißen …
Irgendwo dazwischen ein ganz besonderer Kandidat: ‘Contrast’, mit tief dunkelvioletten Knospen und fast reinweißen Blüten. Eine der wenigen Eigenzüchtungen der Bastins.
„Es gibt schon so viele Lavendelsorten mit oft nur subtilen Unterschieden. Wir säen daher nur ab und zu mal was aus. Manchmal ergibt sich dabei eben so ein schöner Zufallssämling wie ‘Contrast’.“ Ebenso wie alle anderen Sorten kann sie im hauseigenen online-Shop bestellt werden. Doch wer persönlich vorbeikommt, hat den Kurztrip ans Mittelmeer gleich inklusive. Das lohnt sich doch!
Kerstin Ackermann