Es ist 10 Uhr morgens. Im Arbeitsraum pikiere ich Phlox-Sämlinge. Plötzlich steht neben mir ein großer, fast hühnenhafter Mann und befiehlt in freundlichem Ton: „Komm, nimm Stäbe, Bindfäden und Etiketten – wir gehen in die Rittersporne.“ Es ist Karl Foerster, der Chef der Gärtnerei. Natürlich gehe ich da gerne mit. Mannshoch steht die blaue Wand der zweijährigen Rittersporn-Sämlinge vor uns. Karl Foerster zwängt sich in die engen Reihen, ich hinterher. Plötzlich hält er an und knickt ringsum einige blühende Pflanzen um. „Weg damit!“
In der Mitte bleibt ein kräftig blauer, weiß geäugter Sämling stehen. „Ist das ein Glücksfall!“, murmelt „Karlchen“, wie wir Gehilfen ihn liebevoll nennen. „Gib ihm einen Stab und ein Etikett. Ja, wie soll er denn nun heißen?“ Und schon purzeln die Namen nur so aus ihm heraus. Wir einigen uns auf „Sternennacht“. Die Erstpflanze einer neuen Sorte stand jetzt vor uns.
Die sofortige Taufe solcher Glanzlichter war Foerster besonders wichtig. Einmal ging er zusammen mit einem Besucher durch die blauen Reihen. Ein Freudenruf ertönte. Der Gast hatte einen besonders schönen Sämling gefunden. „Karlchen“ kam hinzu und konstatierte nur knapp: „Etikett mit ‘Jubelruf’!“.
Diese Sorte gibt es heute noch. Sie wurde in der Staudensichtung mit „sehr gut“ bewertet. Dutzende Male bin ich junger Spund so mit dem Endachziger in den Sämlingsquartieren unterwegs gewesen, in den Phloxen, den Sonnenbräuten, Astern und Chrysanthemen. Nie schrieb er dabei etwas auf. Alles speicherte der betagte Züchter im Gedächtnis. Heute suchen wir nach seinen Zuchtbüchern. Vergeblich – es gibt sie nicht.
Im Herbst wurden die ausgewählten Einzelpflanzen in die Erstlingsbeete übernommen und dort drei bis vier Jahre intensiv beobachtet. Viele davon blieben in diesem „Enttäuschungsfilter“ (O-Ton K.F.) stecken. Das war ihr schnelles Ende. Nur wenige schafften es schließlich in die Vermehrung. Nach acht bis neun Jahren gab es dann genug Pflanzen von einer neuen Sorte – der Verkauf der „Neuheit“ konnte beginnen.
Heute mag man sich fragen: Wo ist hier die züchterische Leistung? Ich habe Karl Foerster nie mit Pinsel, Pinzette und Isoliertütchen beim Kreuzen von Pflanzen angetroffen, auch andere Mitarbeiter nicht. Er arbeitete mit der „großen Zahl“. Seine Meinung: Bei jährlich 5000 bis 10000 Rittersporn-Sämlingen muss doch irgendwo der Sortenfortschritt zu finden sein!
„Aussäen bis in die Puppen“ (O-Ton K.F.) war seine Devise. Er wollte von der Pflanze nichts mit Gewalt erzwingen, wohl aber ihre versteckten Eigenschaften herauskitzeln. Dazu brauchte er immens viel Zeit und riesige Flächen. Undenkbar in heutigen Zeiten, und in diesem großen Stil auch für den ambitioniertesten Staudengärtner nicht durchzuhalten.
Der Altmeister hatte aber auch seine Methoden, um die Erfolgsdichte in den Sämlingen zu erhöhen: Wir Gehilfen wurden angewiesen, den Samen nur von bestimmten, von ihm vorher festgelegten Sorten zu sammeln. So stand wenigstens die „Mutter“ fest. Es ging als die Methode der „gelenkten freien Abblüte“ in die Geschichte ein. Die meisten züchterischen Erfolge Karl Foersters beruhen auf ihr.
Zum erfolgreichen Züchten gehört immer auch das „züchterische Auge“. Damit meine ich die Fähigkeit, die ganz einzigartige Neuheit im Sämlingsbestand zu finden und richtig einzuschätzen. Da waren meine Rundgänge mit Karl Foerster in den Sämlingsquartieren die beste Schule, die man sich denken kann.
Er nutzte also die natürliche Variabilität der Sämlingskinder für Züchtungsfortschritte. Bei vielen Stauden ist diese Erscheinung sehr ausgeprägt, besonders aber bei den Korbblütlern. In den Sämlingsbeeten von Herbstastern zum Beispiel gab es schon bei den ersten Aussaaten Pflanzen von ganz niedrig bis mannshoch, einfache und gefüllte, standfeste und umfallende, wuchernde(!) und solche, die am Platz blieben.
Aus dieser Vielfalt entstanden z. B. Aster novi-belgii ‘Dauerblau’, ‘Blaue Nachhut’ und ‘Rosenhügel’. Sorten, die sich noch heute, ein halbes Jahrhundert später, behaupten. Und auch die Bienen ließ er helfen: bei den Sonnenbräuten etwa. Mit leichtem Augenzwinkern ordnete er an: „Stelle von der Sonnenbraut der Sorte A einen Strauß mit Blüten in den blühenden Bestand von Sorte B. Das andere lass die Bienenmachen.“
So geschah es, und aus nur wenigen Hundert Sämlingen entstanden die Helenium-Sorten ‘Blütentisch’ und ‘Königstiger’.
Einfach genial war seine Idee, im Oktober Sträuße von blühenden Winterastern aus dem Freiland zu schneiden und sie dann an günstigen Stellen im Gewächshaus unterzubringen. Im Freien würden sie nie bis zur Samenreife kommen! Wir staunten, wie viele Insekten durch die Lüftungsfenster den Weg in das warme Gewächshaus fanden.
Nach vier bis sechs Wochen Vasen“haft“ hatten viele Blüten tatsächlich Samenkörner ausgebildet, die wir ernteten und schließlich zum Keimen brachten. Was daraus entstand, war in den Folgejahren im Oktober – wenn die Blüte einsetzte – der „Knüller“ in der Gärtnerei. Wichtige Sorten, wie ‘Karminriese’ und ‘Schneewolke’, verdanken ihre Existenz diesem kleinen Trick.
Wenn „Karlchen“ etwas sehr wichtig war, kannte er allerdings auch keine Gnade, und wer nicht schnell genug die Kurve kratzte, musste ran. Egal, was die Uhr schlug.
Eines Abends, es war draußen schon lange dunkel, kam er zu mir – ich wohnte mit meiner kleinen Familie im Obergeschoß des Foerster-Hauses – drückte mir eine Taschenlampe in die Hand und befahl im bekannt freundlichen Foerster-Ton: „Nimm Lampe und eine Schere und komm mit.“ Ich wusste nicht, was das werden sollte, bis er beiläufig murmelte: „Heute Nacht gibt’s Frost, wir müssen noch möglichst viele Chrysanthemen schneiden“. Das also war’s. Auch das war Karl Foerster!
Dr. Konrad Näser
Wolfgang Härtel lenkt seit 25 Jahren die Geschicke der Gärtnerei. Mit sicherem Gespür für die Wünsche der Gärtner von heute. Ein Balanceakt zwischen Tradition und Moderne.
Karl Foerster züchtete etwa 370 neue Sorten, vor allem von Rittersporn, Phlox, Astern, Gräsern. Wieviele davon gibt es heute noch, hier?
Viele, und mehr als anderswo in deutschen Staudengärtnereien. Doch wir sind keine „Museumsgärtnerei“. Pflanzen, die nicht mehr vital sind, darf ein seriöses Unternehmen nicht anbieten. Und Sorten mit schlechter Vermehrbarkeit kann sich kein wirtschaftlich arbeitender Staudengärtner leisten. Doch wir erhalten viele der alten Sorten in speziellen Mutterpflanzen-Quartieren. Astern zum Beispiel, die momentan offenbar nicht en vogue sind. Schade. Und im Verkauf haben wir Dauerläufer, die bis heute richtig gut sind: Die Chrysanthemen ‘Nebelrose’ oder ‘Goldmarianne’, die hier nur stellvertretend genannt sein sollen.
Wie sieht es denn heute mit dem Züchten neuer Sorten aus?
Wir selbst bei Foerster-Stauden züchten nicht gezielt. Wenn wir allerdings in unseren Kulturen eine Besonderheit finden, behalten wir sie im Blick. So entstand zum Beispiel unsere Bergminze ‘Kobold’ (Calamintha). Aus der Staudensichtung in Weihenstephan ging sie als Beste heraus. Aber züchten wie Karl Foerster, dafür haben wir heute weder die Zeit noch die Flächen.
Wie kommen Sie dann aber zu den populären Neuheiten?
Wir halten die Augen offen! Da sind so viele Neuheiten unterwegs, aus aller Welt kommen sie. Derzeit gerade bei Echinacea oder Heuchera. Es sind Eintagsfliegen dabei, wir prüfen die Sorten, bevor wir sie fest ins Programm nehmen. Aber es bleibt immer genug hängen für ein attraktives Sortiment.
Von dem der Gartenenthusiast im historischen Foerster-Schaugarten nebenan einen Eindruck bekommt?
Als Inspirationsquelle ist der Senkgarten für die Gärtnerei eine tolle Sache. Mancher kam nur zum Angucken und hat am Ende doch bei uns gleich noch seine neuen Lieblingsstauden eingekauft.
Längst gehören Sie zum „Urgestein“ der Gärtnerei. Den Gründervater aber haben Sie nicht mehr erlebt?
Nein, ich kam 1974 als junger Gärtner nach Bornim. Da lebte Karl Foerster schon nicht mehr. Aber die alten Geschichten, die kursieren bis heute.
Interview: Elke Pirsch
Die Gärtnerei grenzt unmittelbar an das denkmalgeschützte Foerster-Anwesen. Und mitunter kann man sich kaum des Eindruckes erwehren, der Altmeister hätte aus dem Obergeschoss seines Hauses noch immer ein wachsames Auge auf sein Reich.
Was würde er, der den Siegeszug der winterharten Stauden ahnungsvoll ankündigte und vorantrieb, zu der damals ungekannten Vielfalt auf den Verkaufstischen sagen? Vielleicht dies: „Wer das Neue im Garten nicht mitmacht, kann seinen alten Lieblingsblumen nicht gerade in die Augen sehen.“ Zeitlebens war das eine seiner Maximen.
Der „Staudenpapst“ Karl Foerster schrieb neben zahlreichen Zeitschriften-Artikeln mehr als 30 Bücher für Gartenliebhaber. Einige Bücher von und mit ihm werden bis heute immer wieder neu aufgelegt und können in der Gärtnerei gekauft oder im Foerster-Shop bestellt werden Den häufig geäußerten Kundenwunsch, endlich auch wieder einen Versand von Stauden einzurichten, wird man allerdings nicht so bald erfüllen können.