Der Maulbeerbaum ist keine heimische Pflanze. Und nicht erst seit Goethes provokantem Gedanken: „Was hat ein Gärtner zu reisen?“, beschäftigt den leidenschaftlichen Gartenmenschen diese Frage. Eine Antwort finden wir prompt am Reiseweg. Auf einem Höhenzug entlang der Adriaküste begegnete sie mir in Gestalt eines knorrigen alten Baumes.
Es war ein Maulbeerbaum, reich behangen mit weißrosa Früchten, langsam reifenden Brombeeren recht ähnlich. Natürlich haben wir von den Früchten genascht. Etwas süßlich schmeckten sie und ein wenig fade.
Der Geschmack weckte eine längst vergessene Erinnerung: Der Weg zum Badesee in der Uckermark führte uns Kinder direkt an einer Maulbeerhecke entlang. Im Laufen erhaschten wir stets ein paar Früchte. Sie hatten genau diesen Geschmack. Es sind die Früchte vom Weißen Maulbeerbaum (Morus alba).
Erst in der Ferne kam er mir wieder in den Sinn. Rund ums Mittelmeer gehört er zu den landschaftsprägenden Bäumen. Hierzulande ist er selten geworden. Dabei wurden zu Zeiten des Preußenkönigs Friedrich II. ganze Alleen und Plantagen mit Maulbeeren bepflanzt. Nicht um die Früchte ging es dabei, denn sie sind weder haltbar, noch lassen sie sich über längere Strecken transportieren.
Ein höchst begehrtes Luxusgut war der Grund für das per Dekret verordnete und sogar mit staatlicher Förderung belohnte Pflanzen der Bäume: die Seide. Die Weiße Maulbeere ist die Nahrungsgrundlage für die Seidenraupe, und Preußen wollte sich mit einer eigenen Seidenproduktion unabhängig von den kostspieligen Seidenimporten aus China machen.
Zu größerem wirtschaftlichem Erfolg gelangte das Experiment, dem sich zahlreiche Enthusiasten verschrieben hatten, allerdings zu keiner Zeit. Die Maulbeere geriet in Vergessenheit, nur wenige der alten Bäume trotzen bis heute dem Lauf der Zeiten. Einmal etabliert, sind die in der Jugend etwas frostempfindlichen Gehölze erstaunlich zäh.
Beheimatet ist die Weiße Maulbeere da, wo auch die Seidenraupe herkommt: in China, der Mandschurei und Korea. Die Vorliebe für einen sonnigen, warmen Standort liegt ihr in den Genen und erklärt auch die größere Verbreitung in südlichen Ländern rund um das Mittelmeer.
Der Seidenbau hat allerdings auch dort seine Bedeutung verloren. So läuft ihr der Schwarze Maulbeerbaum (Morus nigra) mit seinen schmackhafteren Früchten den Rang ab. Süße, saftreiche Früchte trägt auch der aus dem Osten der USA stammende Rote Maulbeerbaum (Morus rubra).
Von allen Arten hat allein der Weiße Maulbeerbaum bei uns den Weg in die Gärten gefunden. Er gilt als die frostfeste, wenngleich in jungen Jahren etwas empfindliche Art. Das Frühjahr ist deshalb die bessere Zeit für das Pflanzen.
Weil der Maulbeerbaum mit den Jahren ein ausladender, zehn bis fünfzehn Meter hoher Baum wird, ist er in einer seiner gebändigten Formen heute beliebter. In Italien sind oft als Lauben oder an Spalieren gezogene Maulbeeren zu sehen.
Der sehr schnittverträgliche Baum lässt sich sehr gut zu einer Dachform erziehen. Die auf einen Stamm veredelte Hängeform Morus alba ‘Pendula’ bleibt, je nach Veredlungshöhe, von sich aus bei dem ihr zugedachten Raum. Die Zweige hängen bald bis zum Boden herab, und ältere Exemplare können sehr malerisch aussehen. Die schöne, goldgelbe Herbstfärbung des Laubes ist ein zusätzlicher Blickfang.
Eine der besten Verwendungsmöglichkeiten scheint allerdings wirklich in Vergessenheit geraten: Die Weiße Maulbeere ist ein schönes und zudem nicht alltägliches Gehölz für eine gut mannshohe Hecke.
Für ganz niedrige Einfassungshecken eignet sie sich weniger, der Schnittaufwand wäre hoch und Früchte gäbe es dann keine. Längst bin ich am überlegen, ob es nicht eine gute Idee wäre, eine Maulbeerhecke in den märkischen Sand zu setzen. Nicht allein der Erinnerung wegen.
Der Seidenbau war über mehrere Jahrtausende ein streng gehütetes Geheimnis der herrschenden Dynastien im alten China. Erst um das Jahr 500 gelangten Eier des Seidenspinners auf abenteuerlichen Wegen nach Byzanz, und im Verlaufe der Jahrhunderte auch nach Europa. Damit war das chinesische Monopol gebrochen.
Herstellung von Seide
Die Herstellung von Seide setzt das Vorhandensein von Maulbeerbäumen voraus. Die Raupe eines Falters, des Seidenspinners (Bombyx mori), ernährt sich ausschließlich von den Blättern des Weißen Maulbeerbaumes.
Nach einer mehrere Wochen währenden Fressorgie spinnt sie sich in einen feinen Seidenkokon, um in das nächste Entwicklungsstadium überzugehen. Der Seidenbauer lässt einige der Kokons für die nächste Falter-Generation des Seidenspinners reifen. Wenn aus dessen Eiern die jungen Räupchen schlüpfen, beginnt der Kreislauf von vorn.
ELKE PIRSCH