Über 50 Jahre liegt meine erste Begegnung mit dem Vorfrühlings-Alpenveilchen (Cyclamen coum) zurück. In der Gärtnerei standen sie, rückschauend würde ich sagen „kümmerlich“, in Tontöpfen im Frühbeetkasten. Ein paar bescheidene rote Blütchen zwischen dunkelgrünen Blättern, später dann zusammengeringelte Stiele mit Samenkapseln, die wir Gärtnergehilfen ernten mussten.
Ziemlich schnell hatte ich die „Wilden Alpenveilchen“ für mich abgehakt. Vorschnell, wie ich im März des Folgejahres erkannte: Eine befreundete, bereits betagte Gärtnerin, noch alte Schule, lud mich ein, in ihrem Garten in der Eichenallee die Blüte der Freiland-Cyclamen zu besichtigen. Aus purer Höflichkeit ging ich hin. Und dann: Mir stockte der Atem!
Unter einer blühenden goldgelben Zaubernuss breitete sich ein Teppich von vielleicht zwei Quadratmetern rot blühender Cyclamen coum aus. Nie zuvor hatte ich so etwas gesehen. Der Anblick setzte sich fest. Das musste ich auch haben! Aber es dauerte Jahrzehnte, bis ich meinen Alpenveilchen-Traum verwirklichen konnte.
Den Garten in der Eichenallee gibt es schon lange nicht mehr, und längst bin ich der betagte Gärtner. Meinen Cyclamen-Teppich aber habe ich. Also schnell hinaus und nachgeschaut, wie es meinen Sendboten des Vorfrühlings geht. Nein, ich hatte sie über Winter nicht vergessen, schon deshalb nicht, weil ich die Blätter im Herbst zum Schutz vor starken Kahlfrösten mit ein paar Fichtenzweigen abdeckte und mehrmals nachschaute. Den Schutz nahm ich kürzlich erst weg. Die runden Blätter mit der roten Unterseite haben den Winter gut überstanden. Und da sind auch schon die Blüten. Jahrelang habe ich experimentiert, bis es mir gelang, dieses Alpenveilchen dauerhaft in meinem Garten anzusiedeln.
Erfolg hatte ich schließlich mit diesem „Rezept“: Lockerer Laubhumus-Boden, nicht zu trocken, etwas Kalk, ein heller, aber dennoch schattiger Standort, zum Beispiel an der Nordseite vor großen Rhododendren. Die Knollen zehn Zentimeter tief einpflanzen und während der blattlosen Sommerphase nicht durch Bodendecker überwachsen lassen. Das ist ganz wichtig. Im Herbst gebe ich Hornspäne, im Winter werden Fichtenzweige aufgelegt, eventuell kommt noch ein Vlies darüber, das war‘s. Ach, eines noch: Achten Sie auf Wühlmäuse! Sie zernagen gern die saftigen Knollen und später auch die Samenkapseln.
Alpenwanderer finden im Sommer in lichten Laubwäldern in mittleren Höhenlagen ein anderes, duftendes, rotes Alpenveilchen. Es ähnelt etwas dem Vorfrühlings-Alpenveilchen, aber die Blütezeit stimmt nicht überein. Es ist das Sommer-Alpenveilchen, Cyclamen purpurascens. Auch am Naturstandort ist es mittlerweile selten und steht unter Schutz. Im Handel wird diese Art selten angeboten. Das mag unter anderem daran liegen, dass es ziemlich schwer im Garten zu halten ist. Viel eher für den Garten eignet sich neben dem Vorfrühlings-Alpenveilchen auch das herbstblühende Efeublättrige Alpenveilchen (Cyclamen hederifolium). Es ist nach meinen Beobachtungen sogar die wüchsigere Art. Alte Exemplare entwickeln mitunter bis zu 50 Blüten.
Das Efeublättrige Alpenveilchen kommt aus dem östlichen Mittelmeerraum und Kleinasien. Dort wächst es auf steinigen, durchlässigen Humusböden unter hohen Bäumen, unter anderem auch Kiefern. Es hat größere, spitzere Blätter, etwas größere Blüten als das Vorfrühlings-Alpenveilchen, vor allem aber einen ganz anderen Wachstumsrhythmus. Es blüht im Herbst, vom September bis Ende Oktober. Kurz danach oder zur selben Zeit entwickeln sich die schönen Blätter. Wichtig ist, dass um diese Zeit die Pflanzstelle nicht von anderen Stauden bedeckt wird. Das kann über Sommer leicht passieren.
In meinem Garten wachsen die Herbst-Alpenveilchen auf der Ostseite unter einer alten Tanne in der Nähe einer Steinkante. Mit recht wenig Aufwand kann dort für die Blütezeit alles Störende weggeschnitten werden. Manchmal sehe ich, wie nicht näher bezeichnete Wildcyclamen-Knollen unklarer Herkunft angeboten werden. Bedenklich, weil noch immer Wildstandorte geplündert werden. Und beim Einpflanzen im heimischen Garten kommt vielleicht das große Rätselraten: Welches Alpenveilchen habe ich da gekauft? Die Knollen von Cyclamen coum bilden, wie man es erwartet, auf der Unterseite ihre Wurzeln, die von Cyclamen hederifolium entstehen an der Knollenoberfläche! Wer diese Knollen verkehrt herum einpflanzt, hat das spätere Kümmern der Pflanze bereits vorprogrammiert. Möge Ihnen das erspart bleiben.
Dr. Konrad Näser