Da sind sie nun, die mächtigen Birken, in jungen Jahren voller Übermut gepflanzt, festes Garteninventar mit Tücken.
Ein Fehler war es, zugegeben – aber ein sehr schöner! Das Pflanzen von drei Birken am Rand unseres Rasens. Nie wieder würde ich heute drei Birken mitten in den Garten setzen. Aber der Fehler geschah vor mehr als 50 Jahren. Wir, meine Frau und ich, waren jung, unerfahren im Vorausdenken, zumindest was großwachsende Bäume angeht. Und wir hatten die auch heute noch lobenswerte Idee: Wenn uns ein Kind geboren wird, pflanzen wir einen Baum. Wir bekamen drei Söhne, dicht nacheinander, und pflanzten Birken, auch dicht zusammen.
Zwei mandschurische, mit weißer Rinde und frühem Austrieb, und eine einheimische, mit schwarz-weißer Borke, weil beim dritten Mal nichts anderes verfügbar war. Nun stehen sie da, im Zentrum des Gartens, sind 20 Meter hoch und werfen im Jahreslauf ständig etwas herab: dürre Äste, Blütenkätzchen, Samen, Blätter – und stinkende Blattwanzen, auf den Sitzplatz und in die Rabatten. Es sind „Kehrbäume“. Das ständige Kehren wird noch dazu behindert durch die Wurzeln, die hartnäckig die Wegeplatten anheben. Dass sie unterirdisch außerdem arge Wasser- und Nährstoffräuber sind, wussten wir damals noch nicht, jetzt schon! Doch was hilft das Jammern? Das linde Grün des Austriebs im Frühjahr und die goldgelbe Herbstfärbung, der elegante Kronenaufbau und die Symbolik des Mädchenhaften – wir können nicht anders als sie lieben, unsere „Drei-Söhne-Bäume“. Undenkbar übrigens auch, die Namensbäume unserer Kinder, weil wir’s bequemer haben wollen, einfach umzusägen!
Nicht, dass Sie jetzt denken, unsere Birken stünden auf einem kahlen Hügel. Weit gefehlt! Um die dicken Stämme herum haben sich seit Jahrzehnten einige Stauden festgekrallt und behaupten ihren Platz mit erstaunlicher Zähigkeit. Davon will ich erzählen. Der Boden an den Stämmen ist so hart und verfilzt, dass selbst ein scharfer Spaten nur mit Mühe eindringt, ein reines Birkenwurzelgeflecht. Neupflanzungen sind nicht mehr möglich.
Seit über 40 Jahren stehen da aber die Salomonssiegel. Ursprünglich war es das Zweiblütige Salomonssiegel, Polygonatum biflorum, später kam Polygonatum multiflorum, das Vielblütige noch dazu. Sie haben mittlerweile den Platz bis direkt an die Birken erobert und versuchen, ins Umfeld vorzudringen. Wir müssen sie ab und zu in ihre Schranken weisen. Ihre Wüchsigkeit ist mangels Wasser gebremst, doch aufgeben – niemals. Nur in ganz trockenen Sommern werden sie schon Ende August gelb und ziehen ein – genug für das eine Jahr. Den Platz teilen sich die Salomonssiegel mit dem Großen Tüpfelfarn, Polypodium interjectum.
Auch er ist schon 40 Jahre am Ort – ein klassischer Filzbodenbewohner, wenn er erst einmal etabliert ist. Ursprünglich war die Sorte ‘Cornubiense’ mit doppelt gefiederten Wedeln gepflanzt worden. Doch sie schlägt gern in die Urform mit einfachen Wedeln zurück. Der kleinere Engelsüßfarn, Polypodium vulgare, ist ein ebenso zäher „Hartbodenverteidiger“. Daneben, getrennt durch einen kleinen Pflasterweg, wachsen die Maiglöckchen, Convallaria majalis. Auch sie fühlen sich im Wurzelfilz der Birken wohl, versuchen sogar immer wieder, ihre Wucherneigung auszuleben, was wir leider unterbinden müssen.
Auf der Krone eines Mäuerchens hat vor Jahrzehnten eine damals neue Sorte des Bärenfell-Schwingels, Festuca gautieri ‘Pic Carlit’, ihren Platz gefunden. Sie steht noch heute dort, wächst langsam, blüht nicht, bildet dadurch aber ganzjährig, über Jahrzehnte schon, einen dichten grünen Teppich – gar nicht hoch genug zu schätzen an dieser Stelle, wo wir heute nichts Neues mehr pflanzen könnten! Erst seit ungefähr 20 Jahren hat sich eine Wildstaude eingefunden, die Alaska-Alraune, Tellima grandiflora. Sie gehört zu den Pflanzen, die selbst als Sämling in den Wurzelfilz vordringen und sich behaupten können. Ihre Blattrosetten sind immergrün, die grüngelben Blütenglöckchen erinnern an Heuchera. Eine neuere Sorte von ihr, ‘Forrest Frost’, wächst zwar schwächer, hat aber eine schöne braune Zeichnung auf den Blättern.
Schließlich müsste es doch aus der Gruppe der Alleskönner, bei den Storchschnäbeln, auch einen geben, der diese extremen Bedingungen toleriert? Bei mir schafft das der Balkan-Storchschnabel, Geranium macrorrhizum, der von den Geröllhängen der Karpaten stammt, daher das Ertragen von Hunger und Trockenheit gewissermaßen im Blut hat. Von ihm gibt es viele Sorten, am bekanntesten sind die weiße ‘Spessart’ und die purpurrote ‘Czakor’. Noch ein weiterer Wurzelheld ist dort zu finden, das Duft-Veilchen, Viola odorata. Solange es nicht überwachsen wird, verteidigt es tapfer seine Position. Ihm bleibt noch, durch Ausläufer das „Wegwachsen“ in erträglichere Reviere zu versuchen.
Als weitere standorttreue Staude, die ebenfalls Jahrzehnte alt werden kann, habe ich die Frühlings-Platterbse, Lathyrus vernus, schätzen gelernt. Mit ihren elastischen Wurzeln dringt sie bis 50 cm tief durch das Birkengeflecht in den Boden ein und findet immer genug Raum zum Leben. Es gibt von ihr eine lila-blaue und eine rosaweiße Variante, beide sind liebenswerte Frühjahrsblüher. Von den Seggen hat die weiß-grün gebänderte Japan-Segge, Carex morrowii ‘Variegata’, alle Stürme der Jahre überstanden. Über ihre Lebenskraft kann ich nur immer wieder staunen. Vielleicht sind noch weitere Seggen, die ich nicht erprobt habe, für diesen Standort geeignet. Im März/April bietet unser Garten durch die flächendeckenden Frühjahrsblumenzwiebeln, Winterling, Schneeglöckchen, Krokus, Lerchensporn und Blaustern, ein überaus buntes Bild. Dabei ist es erstaunlich, wie dieser Blütenteppich gegen die Birkenstämme anbrandet und sich dort unter die „Platzhirsche“ mischt. Ach nein, unsere Birken stören uns nicht. Im nächsten Gärtnerleben würde ich dennoch andere Bäume pflanzen.
Autor: Dr. Konrad Näser
Untrennbar ist sein Name mit der bekannten Gärtnerei „Karl Foerster“ in Potsdam-Bornim verbunden. Als Züchtungsleiter trat Dr. Konrad Näser nach Foersters Tod im Jahre 1970 in dessen Fußstapfen.