Wie gerne würde ich einmal diese Quizfrage platzieren: Nennen Sie die Staude, die attraktive Blüten und ornamental geschnittene Blätter hat, die an allen Standorten wächst, von Schädlingen und Krankheiten verschont bleibt und Jahrzehnte alt werden kann! Dann nämlich würde endlich auch einmal über den Wald-Geißbart, Aruncus dioicus, geredet.
Den Hinterbänkler aus der erstaunlichen Familie der Rosengewächse. Was an dieser Familie so erstaunlich ist? Zu ihr gehören neben den Rosen auch der Apfel, die Kirsche, die Erdbeere, das Fingerkraut und eben auch der Geißbart. Dass letzterer so wenig populär ist, kann nur den Grund haben: Er ist eine recht wuchtige Staude, die nicht überall Platz findet.
Schon als Kind begeisterten mich die hohen, stattlichen Gewächse in den erzgebirgischen Wäldern. Sie wuchsen am Rand von Waldgräben, in Schluchten, an Weg- und Wiesenrändern. Einige dieser „Spierstauden“ holte ich in mein Kinderbeet im elterlichen Garten.
Später verlor ich den Wald-Geißbart aus den Augen, wörtlich, denn ich befasste mich mit der Anzucht von Bäumen und wohnte in der Großstadt.
Erst als ich zu Karl Foerster kam, traf ich den Geißbart wieder, direkt am Eingangsweg – in voller Sonne, ein prachtvolles Exemplar! Seiner Größe nach musste er schon vor Jahrzehnten dort gepflanzt worden sein. Und im berühmten Senkgarten wuchsen noch mehr, als Halbrund den Blick nach hinten abschließend, eine imposante Kulisse.
Karl Foerster hatte eine Sorte gezüchtet, von der er meinte, dass es eine Kreuzung zwischen dem europäischen Aruncus dioicus und der chinesischen Art Aruncus sinensis sei. Deshalb nannte er sie ‘Zweiweltenkind’. Heute ist allgemein anerkannt, dass es keine eigenständige chinesische Art vom Geißbart gibt. Alle gehören zu Aruncus dioicus.
Foersters ‘Zweiweltenkind’ führt aber zu einer botanischen Besonderheit, die in der Staudenwelt recht selten ist: Beim Geißbart gibt es männliche und weibliche Pflanzen.
Die männlichen haben die eindrucksvolleren Blüten. Karl Foerster hatte eine männliche Pflanze ausgelesen und zur Sorte erhoben. Leider ist sie nur noch selten und nicht immer echt im Handel erhältlich.
Das natürliche Vorkommen männlicher und weiblicher Exemplare von ein und derselben Pflanzenart nennen die Botaniker „Zweihäusigkeit“. Sie begegnet jedem Biertrinker, ohne dass er es weiß – ein Schelm, wer Arges dabei denkt: Der Hopfen im Bier stammt nämlich ausschließlich von weiblichen Pflanzen, die männlichen sind für das Brauen wertlos.
Und wer weiß schon, dass er mit den Weidenkätzchen die Blüten einer männlichen Weide vor sich hat. Die dazu gehörigen weiblichen Weiden mit den unauffällig grüngelben Blüten sind unspektakulär. Noch ein Beispiel: In Parkanlagen macht jeder Besucher einen großen Bogen um die weiblichen Ginkgo-Bäume – die Früchte nämlich stinken erbärmlich! Unter den männlichen Bäumen kann man ungestört spazieren gehen.
Doch zurück zu den Geißbärten: Diese kräftigen, anpassungsfähigen, jedoch relativ großen Pflanzengestalten haben in den letzten Jahrzehnten die Suche nach schwach wüchsigeren Varianten gefördert, die für den Garten besser geeignet sind.
Man wurde fündig! Eine Zwergform des Geißbart aus Fernost, Aruncus aethusifolius, wird nur 30 bis 50 cm hoch. Bald stellte sich heraus, dass sie sich mit der hohen einheimischen Art kreuzen lässt und dabei interessante Zwischenformen entstehen.
Die entstandenen Hybriden nannten die Züchter z. B. ‘Horatio’, ‘Johannisfeuer’ oder ‘Woldemar Meyer’. Alle wachsen nur 60 bis 80 cm hoch und haben gleich gute Eigenschaften wie die Großen. Irgendwann meldete sich auch in mir das Züchter-Gen.
Ich beobachtete in unserem Garten die frei aufgewachsenen Sämlinge genauer und tatsächlich, in der Nähe meines Zwerg-Geißbartes fand ich einen Sämling, der durch zierlichen Wuchs und lange, fast fadenförmige Blütenstände auffiel.
Ihr Anblick glich einem Netzwerk. Und da war auch schon der Name geboren: In meinem Garten wächst nun also mein ganz privates Unikat, Aruncus aethusifolius ‘Netzwerk’.
Dr. Konrad Näser
Untrennbar ist sein Name mit der bekannten Gärtnerei „Karl Foerster“ in Potsdam-Bornim verbunden. Als Züchtungsleiter trat Dr. Konrad Näser nach Foersters Tod im Jahre 1970 in dessen Fußstapfen. Lassen Sie sich von den Geschichten, Erfahrungen, Tipps eines leidenschaftlichen Staudengärtners einfangen und ermutigen.
Schneiden Sie beim Geißbart nach dem Verblühen einfach die braun werdenden Rispen heraus. Dann schmückt der Blattbusch ohne Blüten den Garten noch bis in den Oktober.
Nein, es gibt keinen rosa blühenden Geißbart! Was da an der schlanken Thuja-Hecke von Dr. Konrad Näser blüht, sind Astilben. Die Pflanzen stehen sich nicht einmal verwandtschaftlich nahe. Doch die Blätter ähneln denen des Geißbartes, die Blütenstände ebenfalls, und mancherorts heißen sowohl die Astilben wie auch der Geißbart volkstümlich „Spierstauden“.
Es gibt aber einen deutlichen Unterschied: Im Boden haben die Geißbärte ein kräftiges, fast holziges Wurzelsystem, das sie als Mitglied der Rosengewächse gleich glaubhafter macht, während die Astilben, die zu den Steinbrechgewächsen gehören, ihre zarten Faserwurzeln nur in den oberen Bodenschichten ausbreiten.
Dementsprechend empfindlicher sind sie gegen Trockenheit. Dennoch gefällt mir das Miteinander von Zwerg-Geißbart und Astilben, weil die Astilben viel Farbe in eine halbschattige Gartenszenerie bringen können.