Die Palmblatt-Christrose kennen Sie nicht? Vielleicht aber die Stinkende Nieswurz? Das nämlich ist der wenig schmeichelhafte, aber korrekte Name für die immergrüne Staude. Botanisch heißt sie Helleborus foetidus.
Dr. Konrad Näser
Jeder Tag beginnt für mich mit einem Rundgang durch den Garten. Zu beobachten gibt es immer etwas, und wenn es nur die Amseln sind, die im Winter den ganzen Garten beherrschen. Wie von selbst komme ich dann an der Stinkenden Nieswurz vorbei. Das meiste Staudenleben hat sich verkrochen, die Nieswurz aber steht kühn aufgerichtet. Nieswurz? Na, ja, Schnupfenwetter mag jetzt sein, aber warum dieser Name für eine so attraktive Staude? Da fällt mir ein Rundgang durch den Foerster-Senkgarten ein.
Er liegt Jahrzehnte zurück. Karl Foerster, der berühmte Staudenzüchter, hatte mich höchstpersönlich dazu aufgefordert. An einer kräftigen Pflanze mit dunkelgrünen, gefingerten Blättern blieb er stehen und meinte: „Stinkende Nieswurz soll der Name dieser prächtigen Staude sein, verstehst du das? Das ist doch diskriminierend! Ich habe sie umgetauft! Bei mir heißt sie ‚Palmblatt-Schneerose‘, das passt doch wohl viel besser!“ Natürlich widersprach ich nicht als junger Gehilfe. Doch erstaunt war ich allemal über die Leichtigkeit, mit der hier vom Altmeister ein neuer Name vergeben und alle Nomenklaturregeln nonchalant beiseite geschoben wurden.
Palmblatt-Nieswurz lese ich mitunter in Katalogen und denke dann wieder an die kleine Episode. Bleibt der Name „Nieswurz“ zu erklären: Ihre Wurzeln waren früher ein Bestandteil des Schnupftabaks. Heute gelten sie als giftig. Und „stinkend“? Blätter und Wurzeln haben einen strengen Geruch. Sie als stinkend zu bezeichnen, bleibt Geschmackssache. „Aber sie nicht im Garten zu haben, dafür gibt es keine Ausrede“, würde Karl Foerster jetzt in seiner unvergleichlichen Art anfügen.
Mancher wird die Stinkende Nieswurz vielleicht mehr schätzen, wenn er den kleinen Steckbrief zu dieser ungewöhnlichen Staude liest: An der Spitze ihrer Stängel sieht man schon ab November die Blütenknospen. In winterlichen Warmperioden entwickeln sie sich zu hellgrünen Glockenblüten, immer weiter, bis in den März hinein. Frost um minus 20°C nimmt die Pflanze klaglos hin. Eine ihrer Schwestern dagegen, die ebenfalls „Stämmchen“ bildende Korsische Nieswurz (Helleborus argutifolius), erfriert, zumindest in rauen Lagen, fast regelmäßig. Die Nieswurz gehört zu den Hahnenfußgewächsen, unter denen es noch andere giftige Arten gibt (Eisenhut, Christophskraut, Trollius), daher Vorsicht! Bei normalem Umgang mit ihr besteht jedoch keine Gefahr.
Unsere erste Nieswurz haben wir vor vielen Jahren in Hausnähe gepflanzt, um sie während des Winters immer im Blick zu haben. Inzwischen haben ihre Sämlinge schon fast den ganzen Garten ausprobiert. Mein Morgenspaziergang wird im Winter also auch von den Pflichtbesuchen bei den Nieswurzen bestimmt. Da stehen sie, manche am Rand des Teiches, viele auch in der Nähe von Gehölzen und zwischen Steinen, meist im Halbschatten. Nur eine hat sich in diesem Jahr auf die Südseite des Hauses gewagt, ist dort etwas niedriger, aber in tiefgrüner Prächtigkeit kaum zu überbieten. Bei mir sind sie leider kurzlebig, werden meist nur drei bis vier Jahre alt.
Dafür lasse ich die Samenstände an der Pflanze ausreifen und schneide sie erst im Juli weg, um den neuen Trieben Platz zu schaffen. Inzwischen haben die Ameisen den Samen weithin verteilt. Selbst die Nachbarn schätzen das praktische Geschenk der Ameisen längst.
Der Nährstoffbedarf der Nieswurz ist nicht übermäßig hoch. In unserem märkischen Sandboden braucht sie allerdings eine Humusschicht um den Fuß, um freudig zu wachsen. Den Naturgärtnern sei noch gesagt: Die Nieswurz ist eine der ersten Nahrungsquellen für Hummeln und Bienen.
Es bleibt nicht aus, dass eine so attraktive Pflanze ins Visier der Züchter gerät. Aber sie ziert sich! Bisher ist nur eine Sorte mit rotgesäumten Blüten und roten Blattadern der Erwähnung wert: ‚Wester Flisk‘. Ich besaß sie auch, zwei Jahre lang, dann kamen die Sämlinge, jeder ein bisschen anders rot. So blieb es bis heute.
Dr. Konrad Näser ist untrennbar mit der bekannten Gärtnerei “Karl Foerster” in Potsdam-Bornim verbunden. Als Züchtungsleiter trat Dr. Konrad Näser nach Foersters Tod im Jahre 1970 in dessen Fußstapfen. Mehr über den Karl-Foerster-Garten erfahren Sie im PotsdamWiki.