Ganz anders als erwartet und überraschend wild: Martin Höffts Gemüsegärtnerei „Café Botanico“ im Herzen Berlins quillt über vor Gemüse, das er jeden Morgen frisch erntet. Wir haben ihn dabei in seinem Stadtgarten begleitet.
Wir treffen Martin Höfft zu früher Morgenstunde vor seinem Wohnhaus im Altberliner Stadtteil Rixdorf. Hier soll es einen Gemüsegarten geben. Wir passieren die Toreinfahrt und im begrünten Hinterhof entdecken wir ihn tatsächlich: eine 1000 Quadratmeter große, öko-zertifizierte Stadtgärtnerei.
Durchaus eine Überraschung für jene, die nicht ahnen, was sie erwartet. Gut versteckt liegt der Garten zwischen fünfstöckigen Wohnhäusern. Seit drei Jahren pflanzt und erntet Martin Höfft hier Kräuter und Gemüse für das Café im Vorderhaus, das der studierte Geograph mit Schwiegervater Stefano Emili führt.
Dort im Café Botanico wird traditionell italienische Hausmannskost gekocht – und das Gemüse aus dem Garten ist taufrisch. Und nicht nur das. Denn was Stefano dann serviert, dürfte so mancher der Café-Gäste eher als Unkraut bezeichnen: Gänsefuß und Melde, Giersch und Brennnessel.
Die wachsen in dem durch die Häuser recht schattigen Garten so gut, dass täglich zwei Gerichte daraus zubereitet werden können: ein warmes Hauptgericht mit scharf angebratenem Wildgemüse und ein Salatteller. Je nach Jahreszeit bis zu 50 Portionen.
Wir begleiten Martin Höfft bei seinem morgendlichen Ernterundgang. Mit Schere und einigen Kisten. Während wir durch die essbare Landschaft schlendern, zupft er hier und schneidet da. Die Ernte wird gleich sortiert, denn später ist keine Zeit mehr dafür: die feinen, zarten Blättchen für den Salat, die größeren zum Kochen und die ganz groben Blätter und Stiele werden gleich wieder als Mulch aufs Beet gelegt: „Ernten heißt für mich auch pflegen.“
Der Stadtgärtner weiß genau, wo welches Gemüse wächst und was gerade Saison hat. Heute sind es Blutampfer und Giersch, Gänsefuß und Salat, Blattkohl und Mangold, Rucola und Radieschenfrüchte, Blüten von Rosen, Wegwarte und Taglilie. Es gibt fast immer etwas zu ernten.
Angefangen hat alles mit der reizenden Idee von einem Selbstversorgergarten. In Holland, wo die Familie ein paar Jahre lebte, gab es so ein Gärtchen auch schon. Und nun ein Berliner Hinterhof ? Warum denn nicht. Der Besitzer hatte nichts dagegen, doch sollte nicht nur ein Teil, sondern das gesamte Gelände unter Martin Höffts Fittiche kommen: 1000 Quadratmeter! Die Entscheidung fiel schnell: „Dann mache ich eben alles!“
Dann wurde aufgeräumt, einige Nadelbäume standen dabei leider im Weg. Und siehe da, es kamen Wege und Obstbäume zum Vorschein und natürlich viele, viele Unkräuter, die nicht einfach entfernt sondern akribisch bestimmt wurden. Die essbaren durften bleiben. So hat der Giersch heute seine eigene Fläche. Sogar mit Namensschildchen.
Nach und nach entstand ein Gemüsegarten der anderen Art – ohne schnurgerade Beetreihen, wie man sie aus anderen Gemüsegärten kennt. Gemüse, vor allem Blattgemüse, und Wildkräuter wachsen in Gruppen, scheinbar wild durcheinander und in unterschiedlichen Entwicklungsstadien: als Sämlinge, oder als erntereife, blühende und samentragende Pflanzen.
Die Samen werden gesammelt oder gleich an Ort und Stelle verstreut. Manchmal auch ohne Zutun des Gärtners: „Ich freue mich über alles, was von selbst kommt.“ Wird es ihm zu bunt, greift er sanft ein, damit keine Pflanze die andere übertrumpft. Die Gejäteten wandern nicht etwa auf den Kompost, sondern in den Erntekorb. Irgendwann waren das solchen Mengen, dass Martin Höfft nicht mehr wusste wohin …
Dann kam die Idee von einem Café, das regional, ja sogar lokal, mit Gemüse aus der eigenen Gärtnerei beliefert werden sollte … Eine geordnete Wildnis in einer Fassadenschlucht. Sie passt in die Philosophie der Permakultur.
Permakultur ist ein Kunstwort aus den beiden englischen Begriffen „permanent“ und „agriculture“ und steht für eine Bewegung aus den 70er Jahren, die umweltschonende, dauerhafte Landwirtschaft betreiben wollte. Es gibt verschiedene Methoden und Konzepte, bei denen immer die drei Aspekte Ökologie, Ökonomie und Soziales in Einklang gebracht werden.
So geht es beim Anbau nicht allein um Ertrag oder Gewinn, sondern auch darum, das Beste aus den gegebenen Bedingungen zu machen. Der Permakulturgärtner beobachtet, orientiert sich an der Natur und greift nur wenig in die natürlichen Prozesse ein. Und er verzichtet auf künstliche Dünger und Pflanzenschutzmittel.
Im Café Botanico wird traditionell italienisch gekocht. Das gebratene Wildgemüse ist eines der beliebtesten Gerichte bei den Gästen. Es wird mit Linsen, Risotto oder einem Brei aus Dicken Bohnen serviert. Frischer Salat aus dem Freiland ist schon was Besonderes. Martin Höfft freut sich darüber, dass Gäste aus ganz Berlin dafür ins Café Botanico kommen.
Wer wissen möchte, wo das Gemüse auf seinem Teller wächst, kann an einer der sonntäglichen Führungen teilnehmen. Ihm wird dann die Permakultur sozusagen am lebenden Objekt erläutert.
Gemüse und Wildkräuter sind mit Schildern markiert, auf denen der botanische Name und die Verwendung stehen. Da halten selbst passionierte Gärtner inne und staunen, was alles essbar ist.
So ein Rundgang ist wie eine Lehrstunde in Geduld, für jeden Gärtner zu empfehlen, aber in keinem Moment belehrend. Auch ich habe viel dazugelernt, und der wilde Permakulturgarten hat mich zu einigen Ideen für meinen eigenen Garten inspiriert.
Natalie Faßmann