Sie hat die Erlaubnis zu tun, was allen anderen strengstens untersagt ist: Uta Kietsch darf in der freien Natur Samen sammeln, sogar in Naturschutzgebieten. Mit Genehmigung der Naturschutzbehörde. Denn in ihrer Gärtnerei „Wildsamen-Insel“ in der Uckermark vermehrt sie regionale Wildkräuter und Wildgräser, ein Stück Natur- und Landschaftsschutz.
Dafür braucht sie das unverfälschte, züchterisch unbearbeitete Saatgut vom Uckermärker Wildstandort. „Im Lauf der Zeit haben sich die Arten an Klima und Boden angepasst, und es sind regionaltypische Varietäten entstanden“, erklärt mir Uta Kietsch.
Ein paar Kilometer vom Bio-Landwirtschaftsbetrieb Gut Temmen entfernt, wo ihre Gärtnerei angesiedelt ist, hat die gelernte Gärtnerin ein kleines Stück Land gepachtet. Auf drei Seiten ist es von Seewasser umgeben. Wildsamen-Insel hat sie es deshalb genannt – wie auch ihre Gärtnerei.
Hier wachsen etwa 25 bis 30 Wildarten, die sich in breiten, bunten Streifen an einen Hügel schmiegen. Da halten Wanderer und Fahrradtouristen schon mal an und staunen über die blühende Vielfalt. Im noch gelb blühenden Wiesen-Bocksbart-Streifen sind ihre Mitarbeiter fleißig dabei, die reifen Samenstände zu ernten.
„Wir gehen hier täglich durch und ernten, was reif ist, manchmal morgens und abends“, erzählt Uta Kietsch. Das muss sein, denn manche Wildpflanzen sind eigen und blühen über mehrere Wochen. Und so werden auch die Samen folgernd reif und müssen per Hand geerntet werden. Erntet man den Bocksbart maschinell, landen zu wenig Samen im Beutel – das wäre ein Verlustgeschäft.
Es braucht schon eine Menge Erfahrung, um den rechten Zeitpunkt für die Samenernte zu finden. Bei der Tauben-Skabiose, die demnächst beerntet werden kann, sind die Veränderungen von „fast reif“ zu „reif“ nur minimal.
Andere Arten verhalten sich kooperativer, wie die Kuckucks-Lichtnelke und der Wiesen-Salbei. „Da müssen wir die goldene Mitte erwischen, den Moment, in dem viele Samen reif sind.“, so Uta Kietsch. Dann werden Mähbalken oder Schneidlader aktiviert. Flüchtige Samen wie die des Rauen Löwenzahns, die leicht vom Wind verweht werden, sammelt sie mit dem Laubsauger ein. Mehr als 60 verschiedene Wildarten hat sie in ihrem Sortiment.
» Ein Naturgarten mit Schwimmteich
Damit ihre Wilden auch wild und variantenreich bleiben, holt sie sich nach fünf Generationen frisches Saatgut vom Wildstandort und erneuert ihre Mutterpflanzen. Sonst könnte mit der Zeit eine Selektion „Wildsamen-Insel“, angepasst an genau diesen Standort, entstehen. Und das soll nicht passieren.
Also zieht die Pflanzenkennerin regelmäßig zu ihren Sammelgründen oder spürt neue Wildstandorte auf. Auch um ihr Sortiment zu erweitern, denn nicht alle Wildarten baut Uta Kietsch selbst an. „Dafür reichen meine Flächen nicht aus.“
Ein weiteres Geschäftsfeld ist die Saatgutgewinnung von Gemüse und Kräutern. Dafür sind unter anderem verschiedene Salat- und Tomatensorten in Folienhäusern untergebracht.
» Ringelblumen – die Alleskönner
Rund 30 Wildarten erntet sie von anderen Flächen, und dafür muss sie manchmal lange verhandeln. Zurück auf Gut Temmen führt sie uns zu einer Scheune. „Kommen Sie mal mit, ich will Ihnen was zeigen.“ Auf der Tenne zeigt sie auf zum Trocknen aus gebreitete Gräser. „Das sind Hainsimse und Ruchgras, die haben wir heute früh ernten können – endlich.“
Die beiden Wildgräser hat sie vor Kurzem auf einer Fläche in der Nähe entdeckt, dann lange mit dem Besitzer gesprochen. „Und gestern Abend gab es nun das Okay.“ Verhandlungsgeschick und einen geschulten Blick für Wildpflanzen – das braucht man als Wildsamen-Gärtnerin.
Ihr zertifziertes Regio-Saatgut wird nur im Nordostdeutschen Tiefland verwendet, beispielsweise für Ausgleichsmaßnahmen nach Straßenbauarbeiten oder Rekultivierungsmaßnahmen im Tagebau.
Die „Wildsamen-Insel“ ist nicht die einzige Gärtnerei, die Regio-Saatgut produziert. Außer dem „Nordostdeutschen Tiefland“ gibt es noch weitere sieben Produktionsräume in Deutschland.
Uta Kietsch vermarktet ihre Samenmischungen selbst und über den renommierten Wildsamenhändler Rieger-Hofmann.
Auch Hobbygärtner finden hier die richtige Saatgutmischung für ihr Projekt, exakt abgestimmt auf die Region, in der sie leben.
Eigene Blumenmischungen testet Uta Kietsch, bevor sie in den Verkauf gehen. Am Rand des Gemüsegartens legt der „Bunte Saum“ seine Prüfung ab, mit Ringelblumen, Kornblumen, Kornrade, Klatschmohn und Phacelia.
Eine Herzensangelegenheit sind der Wildpflanzen-Expertin Rekultivierungsprojekte mit dem Land Brandenburg oder dem NABU. Dabei werden gefährdete Pflanzenarten wie Trollblume, Küchenschelle oder das nur in Brandenburg vorkommende Märkische Schwingelschilf (Scolochloa marchica) vermehrt und dann in verschiedenen Regionen ausgepflanzt.
Dafür produziert sie auch schon mal große Stückzahlen, wie zum Beispiel die 2700 Pflanzen für ein Projekt zur Wiederansiedlung der hübschen Küchenschellen.
Tipps und Wissenswertes von der Wildsamen-Insel
Leuchtendes Gelb
So schön und interessant sind viele der Wildblumen, die von Uta Kietsch für die Samenernte kultiviert werden:
Blüten und Fruchtstände zur selben Zeit – das ist typisch für Wildpflanzen wie den Rauen Löwenzahn.
Gemüse, wie es im Garten eher selten ist
Uta Kietsch hat noch ein weiteres Geschäftsfeld: die Saatgutgewinnung von Gemüse und Kräutern.
Darum sieht man auf der Wildsamen-Insel auch Gemüse, wie es im Garten seltener zu finden ist: blühend, um die Samen zu ernten.
Blühendes Gemüse ist auf den ersten Blick manchmal gar nicht leicht zu erkennen: hier eine Pastinake im zweiten Jahr.
Ein guter Trick für schwere Blütenststiele
Abgeschaut ist dieser Trick von Schnittblumengärtnern:
Damit der blühende Salat nicht umfällt, ist ein breitmaschiges Netz über ihn gespannt.