Der kleine Ort Appel liegt versteckt zwischen den Harburger Bergen und der Este, einem linken Nebenfluss der Elbe. Er ist bekannt für seine Wanderwege in reizvoller Landschaft. Marlena Meyer lebt hier schon seit 20 Jahren. Wandern war sie noch nicht. Ihre Leidenschaft gilt dem Gärtnern.
„Schade, dass Sie nicht schon vor zwei Wochen hier waren!“ ruft sie uns zur Begrüßung zu. „Da haben noch die Kletterrosen in den Bäumen geblüht – ein traumhafter Anblick!“ Aber egal, denn auch wenn wir uns auf den ersten Blick in einem typischen Rosengarten mit Buchshecken wähnen, merken wir bald, dass es hier einiges mehr zu entdecken gibt.
So ist der Fotograf dann auch ganz schnell verschwunden. Ich also Frau Meyer hinterher. Wir verlassen den breiten Rasenweg und spazieren auf einem schmalen Pfad in ein kleines Wäldchen. Zwischen efeuberankten Bäumen stehen ein rostiger Pflug, weiter hinten eine Nähmaschine, eine Wäschemangel und ein windschiefes Zaunteil. Direkt über mir im Geäst hängt eine alte Laterne. Marlena Meyer liebt Altes und Ausrangiertes. Sie ist aber nicht auf jedem Trödelmarkt unterwegs.
Mit Ehemann Stefan führt sie eine Firma für Baustoffrecycling, Abbrucharbeiten, Erdarbeiten, inklusive Containerdienst, da fällt immer mal was ab. „Was für andere Menschen Schrott ist, hat für mich eine Seele. Wie die alte quietschende Tür hinten am Schuppen, die mindestens siebenmal überstrichen wurde – die hat schon so einiges erlebt“, meint die Hobbygärtnerin.
Das Wäldchen lassen wir hinter uns und streifen weiter durch den Garten. Auch in den Beeten, zwischen Glockenblumen, Frauenmantel, Katzenminze und Fingerhut begegnet man immer wieder Marlena Meyers charmanter Sammelleidenschaft. Ich entdecke sogar Hänsel und Gretel, nebst gusseisernem Ofen, Kessel und Krückstock. Jetzt geht es weiter zum großen Teich, den die Gartenbesitzerin fast ohne Hilfe gebaut hat. Drei Jahre lang beschäftigte sie sich mit Fachliteratur zum Thema. Ihr Wunsch: Ein natürlicher Teich, der sich selbst reguliert. Nach der Planung begann 2001 die dreijährige Bauphase. Am Ende gab es nicht nur einen Teich, sondern auch einen Wasserfall und einen Bachlauf. Bisher funktioniert alles problemlos. Muscheln und Wasserpflanzen filtern das Wasser. Die meiste Arbeit leistet die Wasserpest. Dass die nicht besonders schön ist, stört die Powerfrau überhaupt nicht.
Marlena Meyer möchte der Natur in ihrem Garten den größtmöglichen Freiraum lassen: „Meine verblühten Rosen schneide ich nicht. Das ist der beste Winterschutz. Und die Wildrosen haben doch so schöne Hagebutten. Im Frühjahr sagen mir die blühenden Forsythien, wann es Zeit für den Schnitt ist.“ Auch dürfen immer ein paar alte Rosentriebe stehen bleiben, denn die dienen den neuen Trieben als Stütze. Das Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur ist Marlena Meyer sehr wichtig. „Jedes Lebewesen und jede Pflanze bekommt ihren eigenen Platz in meinem Garten. Ich liebe sogar Spinnen“, sagt sie. So bedauert sie dann nur ganz kurz, dass die prächtigen Ligularien neulich von Raupen zerfressen wurden: „Es waren doch schließlich Schmetterlingsraupen.“
Mittlerweile stehen wir wieder zwischen den buchsgerahmten Rosenbeeten. Marlena Meyer liebt die Rosen ihrer Gegensätzlichkeit wegen: „Rosen sind schön und leicht und duften wunderbar. Doch sie stechen auch und sind krankheitsempfindlich. Sie fordern mich heraus. Und das zieht mich an“. Die erste Rose, es war ‘New Dawn’, pflanzte sie vor 17 Jahren. Heute hat sie über 300 Exemplare. Eine ihrer Lieblingsrosen ist ‘Leonardo da Vinci’. Ihre Rosen kauft sie in anerkannten Rosenschulen, denn da ist sich Marlena Meyer sicher, dass die auch bei ihr gut wachsen.
Die Rosengärtnerin freut sich nicht nur am Anblick und Duft ihrer Lieblinge: „Für besondere Anlässe kandiere ich Rosenblütenblätter oder ich friere die kleinen Blüten der Mozartrose in Eiswürfel ein. Das sieht richtig hübsch aus.“ Die Frau hat es drauf! Tagsüber ist sie mit der Firma beschäftigt, dann arbeitet sie noch im Garten und experimentiert sogar in der Rosenküche. Vielleicht gibt ihr der Giersch ja den Extraschub Energie. Für Marlena Meyer ist der kein lästiges Unkraut, sondern eine leckere Salatzugabe und ein Muntermacher.
Monica Lietzau